Wissenschaftskommunikation in den Gender Studies

Andrea Geier
10 min readDec 16, 2019

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Herausforderungen und ein paar Vorschläge

Die Geschlechterforschung hat ein massives Kommunikationsproblem. Drei Probleme stechen hervor: 1. Die Berichterstattung konzentriert sich auf wenige Themenfelder, deren gesellschaftspolitische Bedeutung zugesprochen wird. 2. Das transdisziplinäre Forschungsfeld wird allzu oft vereinheitlicht, als ob alle über dasselbe forschten oder forschen sollten, und selbst innerhalb einzelner Forschungsthemen werden Standpunkte als homogen dargestellt, statt Debatten und Streit zu zeigen. 3. Und nicht zuletzt werden allzu konsequent diejenigen Herausforderungen und Probleme der Gender Studies ignoriert, die aus Sicht der Geschlechterforschung relevant wären. Einiges davon trifft auch auf andere Disziplinen zu. Aber wie in keinem anderen wissenschaftlichen Feld unterscheiden sich im Falle der Gender Studies interne Wahrnehmungen und Fremddarstellungen.

Kritikpunkte und ihre Kontexte

Kritik an der Geschlechterforschung wird so regelmäßig und mit so häufig vorhersehbarer Stoßrichtung veröffentlicht, dass man von einem beliebten publizistischen Genre sprechen kann. Erstaunlich sind neben der Frequenz die Vehemenz der Vorwürfe, denn diese sind so altbekannt und pauschal, dass man sich verwundert die Augen reibt, weshalb solche Artikel nicht nur immer noch, sondern im Gegenteil offenbar vermehrt als veröffentlichungswürdig gelten. Ihre Schlagwörter sind seit jeher ‚politische Wissenschaft’, ‚Gender-Ideologie’, ‚Standpunktforschung’. Damit ist gemeint, dass Gender Studies eigentlich ein mehr oder weniger gut getarntes feministisches Projekt seien, das die Gesellschaft umgestalten, ja ‚Neue Menschen’ hervorbringen wolle. Indem man sie mit feministischen Zielen, Gender Mainstreaming, Identitätspolitik und angeblicher ‚Political Correctness’ im öffentlichen Raum identifiziert, werden Gender Studies als politische Bewegung und damit als ‚unwissenschaftlich’ dargestellt. Im Unterschied zu den Jahren um die Jahrtausendwende haben Vorwürfe und Klagen über den öffentlichen Diskurs und die Wirksamkeit der ‚Umerziehung’ in Institutionen wie Behören und Universitäten deutlich zugenommen. Anti-Gender scheint als ein Vehikel zu gelten, mit dem man der sogenannten ‚bürgerlichen Mitte’ den Eindruck vermitteln könne, dass ihr ‚Widerstand’ gegen einen Angriff auf liberale Freiheitsrechte gefragt und am richtigen Ort sei. Diese Zielsetzung, sich auf diese Weise als Hüter*in von Freiheitsrechten zu präsentieren, erklärt zum Teil die Beliebtheit des Genres, macht die Kritik aber nicht plausibler. Geklagt wird über die vermeintliche Einschränkung von Meinungsfreiheit oder der Freiheit von Kunst, kurz über ‚Moralisierung’ und ‚Zensur’. Dazu kommen konkrete Themen wie Sexualkundeunterricht an Schulen. Die Schlussfolgerung aber bleibt seit mehr als 20 Jahren dieselbe: Gender Studies seien keine Wissenschaft und nicht förderungswürdig.

Wie sollen Geschlechterforscher*innen damit umgehen? Uninformierter und politisch motivierter Kritik nicht so viel Aufmerksamkeit zu schenken, ist ein oft gehörter Rat, aber offensichtlich keine erfolgversprechende Strategie. Noch in den späten 1990er Jahren reagierten einige Genderforscher*innen mit Staunen und Achselzucken auf solche Fremdbilder ihrer Forschung, nach dem Motto: ‚Das sind wir nicht, wer soll das glauben?’ Mittlerweile gibt es immer wieder direkte Angriffe auf einzelne Personen, über die in der Politik und in forschungspolitischen Zusammenhängen in der Wissenschaft viel zu wenig gesprochen wird, und es gibt politische Akteur*innen wie die AfD: Sie hat die Diffamierung der Gender Studies zum Programm erhoben. Dazu missbrauchen sie zum Beispiel das demokratisch wichtige Instrument der ‚Kleinen Anfrage’ in den Landesparlamenten. Dabei versuchen sie, aus Antworten zur Förderung der Gender Studies Material für deren öffentliche Diskreditierung zu gewinnen. Solche Anfragen binden Ressourcen und sind schon deshalb ein Ärgernis. Wichtiger aber ist, dass sie nur ein Symptom für ein größeres Problem sind, das sich im vergangenen Jahrzehnt verfestigt hat: Die Gender Studies sind einem eklatant erhöhten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Dass sich Gender Studies zu verteidigen haben, scheint mittlerweile der selbstverständliche Ausgangspunkt zu sein, wenn über sie geschrieben und gesprochen wird. Wir sehen uns einem Mechanismus ausgesetzt, der das Problem immer noch größer und gewichtiger macht. Statt pro-contra-Debatten lässt sich allzu häufig erleben, dass die erklärten Gegner*innen ihr Framing durchgesetzt haben: Die mediale Aufmerksamkeit trägt über die Aufmacher zum Thema meist schon eine Negativtendenz weiter, selbst wenn diese Sicht im einzelnen Artikel gar nicht vertreten wird. Ob das von den einzelnen Journalist*innen nicht bemerkt wird oder als Aufmerksamkeitscatcher und clickbait in Kauf genommen wird, ist nicht entscheidend. Es sind Schlagworte wie ‚Gender-Ideologie’, ‚Gender-Gaga’ oder ‚Gender-Wahn’, die ein negatives Framing herstellen und normalisieren, und das befördert wiederum, dass eine ablehnende Haltung zu ‚den’ Gender Studies als ‚normal’ wahrgenommen wird. Dagegen gab es immer schon klare Gegenreden, doch angesichts der zunehmenden Schärfe der Kritik und neuen Formen von Angriffen aus dem politischen Raum brauchen wir ein Gespräch möglichst vieler verschiedener Akteur*innen darüber, wie wir eine andere Wahrnehmung der Gender Studies erreichen können.

#ChangingTheConversation

Unser Ziel muss sein, die Problembeschreibungen aus der Außensicht mit der aus der Innensicht zu konfrontieren und so einen realistischeren Blick auf das Forschungsfeld zu erzeugen. Zu dieser Innensicht gehört: Gender Studies sind ein vitales Forschungsfeld. Die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen zeichnet die Geschlechterforschung seit jeher aus. Diese Transdisziplinarität fordert immer wieder neu dazu heraus, Grundsatzfragen zu diskutieren und im Umgang mit Methodenpluralismus dazuzulernen. An diesen Herausforderungen ist das Fach in den letzten Jahrzehnten gewachsen, hat sich in kontroversem Mit- und Nebeneinander ausdifferenziert und währenddessen zugleich universitär etabliert.

Das Forschungsfeld ist unterschiedlich gut in einzelnen Disziplinen etabliert, aber ist insgesamt in der Forschungslandschaft sichtbar: Es gibt Professuren mit entsprechender (Teil-)Denomination, Zentren für Gender Studies, akkreditierte Studiengänge und Zertifikate. Gut vertreten in den Sozial- und Kulturwissenschaften, gibt es Gender Studies in der gesamten Breite des Fächerspektrums von Agrarwissenschaften bis Wirtschaftsrecht. Die gesteigerte populistische Kritik reagiert unter anderem auf diesen institutionellen Erfolg.

Kaum öffentlich wahrgenommen wird, dass in den Gender Studies über den Institutionalisierungsprozess kritisch nachgedacht wird. Dass es eigene Studien-Programme für Gender Studies gibt, ist unzweifelhaft ein institutioneller Erfolg. Diese Programme werden allerdings vielerorts mit begrenzten Ressourcen bestritten, und bei ihrer Einrichtung wurde der Zuschnitt — wie bei vielen anderen Studienprogrammen auch — nicht nach einem idealen Programm, sondern schlicht durch die vorhandenen Disziplinen, das Engagement einzelner Forscher*innen und eben Ressourcen bestimmt. Die Professuren für Gender Studies, meist in einzelnen Fächern und seltener transdisziplinär angesiedelt, sind ebenfalls eine Erfolgsgeschichte, allerdings garantiert ihre Existenz keinswegs, dass Studierende eines Faches in jedem Fall das Forschungsfeld kennenlernen und damit etwas über seine Bedeutung für die eigene Disziplin erfahren. Das kann nur eine klare Verankerung von Fragestellungen und Theorien der Geschlechterforschung in den Studiengängen der einzelnen Disziplinen leisten, und hier gibt es weiterhin in der Fläche viel zu tun. Interdisziplinäre Zentren für Geschlechterforschung im deutschsprachigen Raum sind ungenügend und/oder gar nicht für die Zukunft gesichert. Schon diese wenigen Punkte machen deutlich, dass sich für die Gender Studies sowohl aus eigenem forschungspolitischen Interesse als auch angesichts der Angriffe von außen die Frage stellt: Wie etabliert sind wir wirklich? Und sind die Formen, in denen wir derzeit etabliert sind oder erscheinen, eigentlich diejenigen, die wir uns für die Zukunft unseres Forschungsfeldes wünschen?

Für die Wissenschaftskommunikation bedeutet das: Was können einzelne Forscher*innen tun, damit sich die öffentliche Wahrnehmung ändert und die pauschale Kritik an Plausibilität verliert? Wie können wir langfristig mehr Raum für wissenschaftliche Erkenntnisse des Forschungsfeldes schaffen und darüber hinaus nicht nur dafür, was, sondern auch wie wir arbeiten, d.h. für unsere eigenen Problembeschreibungen und Zukunftsaufgaben? Jenseits des allgemeinen Ratschlages, sich trotz der verbreiteten negativen Atmosphäre nicht vor einer Auseinandersetzung auch mit grob verzerrenden Artikeln zu drücken oder sich bei Redaktionen auch mit den eigenen Themen zu melden, sollten wir damit beginnen, das Kommunikationsproblem grundsätzlicher anzugehen und gemeinsam in eine Diskussion über langfristige Strategien einzutreten. Mein Vorschlag ist zu überlegen, ob sich nicht sogar einige der fachinternen Zukunftsaufgaben für die Wissenschaftskommunikation nutzen lassen.

Relevanzdebatten und #GenderStudiesBuddies

Die Diskussionen um Gender Studies haben im Vergleich mit anderen Fächern einen deutlich aggressiveren, grundsätzlicheren Charakter. Unübersehbar sind aber auch die Überschneidungen mit den wiederkehrenden öffentlichen Relevanzdebatten insbesondere in Bezug auf geistes- und kulturwissenschaftliche Fächer. Sie kreisen um das berühmt-berüchtigte Bild des Elfenbeinturms, das auch in Papieren zur Wissenschaftskommunikation immer wieder als Negativfolie verwendet wird. Wir müssen uns deshalb in Relevanzdebatten einmischen, um überhaupt die Chance zu haben, unsere Kriterien für Relevanz in die Diskussion einspeisen zu können. Für die Gender Studies kommt es darauf an, ihr interdisziplinäres Profil zu nutzen, um die Konzentration und isolierte Sicht zu durchkreuzen: Je mehr Fächer die Relevanz der Geschlechterforschung in ihrer eigenen Disziplin öffentlich sichtbar machen, um so weniger angreifbar sind Gender Studies in Bezug auf einzelne Personen — vornehmlich die leicht auffindbaren Professuren für Gender Studies — als auch in Bezug auf ihre grundsätzliche Relevanz. Daran können Fachgesellschaften teilhaben, aber wichtiger als gelegentliche Solidaritätsadressen wäre es, dass möglichste viele Forscher*innen, die sich selbst nicht als Gender-Forscher*innen verstehen, vermitteln, dass Gender Studies ein selbstverständlicher Bestandteil ihres Forschungs- und Lehralltages ist. Die Botschaft muss lauten: ‚Selbst wenn es an unserer Universität mal keine Professuren für Gender Studies gibt/ oder (eines Tages) nicht mehr geben sollte, sind deren Perspektiven so fest verankert in den Fächern XYZ (variierend nach Standort), dass wir immer entsprechend wissenschaftliches Personal einstellen werden, das in diesem Bereich forscht und lehrt.’

Es liegt mir fern, die Bedeutung der Professuren für Gender Studies zu schmälern oder interdisziplinäre Studienangebote in Frage stellen. Ich plädiere für einen zusätzlichen Perspektivwechsel: Statt sich vor allem auf die Verteidigung einzelner Professuren, Forscher*innen, Studiengängen etc. zu konzentrieren, müssen wir zu einer breiteren Kommunikation über die Gender Studies an Universitäten und Fachhochschulen in den Fachwissenschaften und ebenso in der Didaktik gelangen. Geschlechterforschung braucht in ihrem akademischen Umfeld mehr Verbündete. Je stärker, je sichtbarer und je selbstverständlicher Fragestellungen der Gender Studies in vielen Einzeldisziplinen sind, um so schwieriger wird es, ‚die Gender Studies’ als irgendwie vom Feminismus ‚gesteuerte’, einzelnen Disziplinen oktroyierte, wissenschaftsferne Forschung zu diffamieren. Aktionstage wie #4genderstudies können Leistungen der interdisziplinären Geschlechterforschung sichtbar machen. Es wäre wunderbar, wenn sie auch ein Anlass wären für eine breite Solidarisierung von Wissenschaftler*innen, die sich als #GenderStudiesBuddies verstehen.

Transdiszplinarität und disziplinäre Vielfalt sichtbar machen

Die disziplinär vielfältige Verankerung bewusst zu machen, arbeitet zugleich einer anderen Maßnahme zu, die zu den Hauptaufgaben der Wissenschaftskommunikation gehören muss: Die Homogenisierung des Forschungsfeldes aufzubrechen. Gender Studies haben forschungspolitisch dafür gekämpft, als Disziplin wahrgenommen zu werden — mit Effekten im Institutionalisierungsprozess, aber auch in der Forschungsförderung –, ohne dass damit je die Idee einherging, disziplinäre Vielfalt an Forschungsfragen, Themen und Methoden aufzugeben. Genau das aber geschieht gezielt oder durch Ignoranz ungewollt in einer homogenisierenden Außendarstellung. Die Zeit, die Forscher*innen in den Gender Studies darauf verwenden, ihr Forschungsfeld gegen kampagnenartige Angriffe zu verteidigen, hat bei den meisten kaum etwas mit ihren konkreten Forschungsthemen zu tun. Fast immer geht es um ‚die’ Gender Studies und um Konfliktfelder, die in der öffentlichen Kommunikation dominieren. Gender-Forscher*innen machen vielfach die Erfahrung, dass mehr Menschen sie nach ihrer Haltung zu all-gender-Toiletten fragen als danach, worüber sie fachlich arbeiten. Ich diskutiere deutlich mehr über Biologie und Natur-Kultur-Differenzen oder über Themen wie ‚die Stellung der Frau im Islam’ als über literarische Texte. Ich mache das auch gerne, verfolge aus Interesse selbstverständlich einschlägige sogenannte „gender-Debatten“ und mische mich dazu auch in meiner persönlichen Presseschau-Auswahl auf Twitter ein. Auf den zweiten Blick sind für mich als kulturwissenschaftlich arbeitende Literaturwissenschaftlerin ja auch viele der Themenfelder, um die es in öffentlichen Debatten geht, wichtig: Identität, Körperlichkeit oder Wahrnehmung von ‚Fremdheiten’ — wer wird von wem in welchem Kontext als ‚fremd’ oder ‚nicht zugehörig’ angesehen? In einem interessierten Umfeld ergeben sich viele Möglichkeiten, Unterschiede und Verbindungen in Fragestellungen und methodischen Zugängen zu erläutern: Dass Konzepte interdisziplinäre Erfolgsgeschichten haben können, in einzelnen Fächern entsprechend ihren Forschungstraditionen unterschiedlich modelliert werden und daher disziplinär unterschiedliche Verwendungsweisen entwickelt werden. All das ist Teil unseres Forschungsalltages, in den wir mehr Einblick geben sollten.

Dass wir es im Journalismus oft mit anlassbezogener Kommunikation zu tun haben — große Jubiläen wie 100 Jahre Frauenwahlrecht, Konfliktfelder wie Gleichberechtigungsmaßnahmen etc. –, ist selbstverständlich. Wir sollten aber versuchen, gerade in solchen Kontexten unsere Strategien einzubringen. Wir sollten alle Gelegenheiten nutzen, das Zusammenspiel von transdisziplinärer Struktur und disziplinärer Vielfalt in der Geschlechterforschung zu erklären: Ihre Stärken und auch ihre Limitierungen. Jede*r von uns sollte konsequent versuchen, die politisierte, extrem reduzierte und homogenisierende Wahrnehmung der Geschlechterforschung — ‚die machen alle dasselbe’ — zu adressieren. Denn sie ist die eigentliche Basis für eine andauernde populistische Stichelei, ob man wirklich ‚so viele’ Gender Studies-Stellen bräuchte.

Im öffentlichen Gespräch sind in erster Linie zeitdiagnostische Analysen gefragt. Sie sind Teil einer Debatte um Relevanz, die wir offensiv führen können. Und zwar mit dem Mut, Einblick in Debatten und Kontroversen zu geben. Das mag kontraintuitiv erscheinen, da Angriffe ja gemeinhin Geschlossenheit bei den Angegriffenen erzeugen. Aber das wäre eine Ebenenverwechslung. Wir brauchen eine breite, nicht nur auf die Gender Studies konzentrierte Solidarisierung gegenüber Angriffen, und zugleich eine Sichtbarkeit unserer konkreten Situation. Wir sollten unter anderem thematisieren, dass die Geschlechterforschung konfrontiert ist mit konfligierenden Erwartungshaltungen: Einerseits muss sie sich gegen ein gesellschaftspolitischen Diskurs verwahren, in dem sie mit einem Ideologieverdacht konfrontiert wird, andererseits kann und soll sie in bestimmten pädagogischen Kontexten wie etwa der Lehrer*innenausbildung an Bausteinen für einen sexismus- und rassismuskritischen Unterricht mitarbeiten. Deshalb gehört zu der erwünschten Werteorientierung auch die Frage, wie gleichberechtigt unsere Gesellschaft tatsächlich sein will, und wie wir Vorstellungen von Gleichberechtigung konsequent verknüpfen mit den Zielen Diversität und Inklusion.

Fazit: Kooperation und Konflikt

Wir sollten unser wissenschaftliches Selbstverständnis, unsere Themen in Anbindung an die Forschungsgeschichte unserer Disziplinen und unsere Interessen und Leistungen zwischen Kooperation und Konflikt thematisieren. Es genügt nicht, dass wir Geschlechterforscher*innen voneinander wissen, wie disziplinär vielgestaltig Gender Studies sind und dass unsere Forschungsdebatten komplex und kontrovers sind. Gerade mit Blick auf grundlegende Fragen von Relevanz und Kompetenzerwerb kann mehr Aufmerksamkeit für die Chancen und für die Reibungsflächen der Transdisziplinarität ein Ansatzpunkt sein, das öffentliche Gespräch über unser Fach zu verändern. Und das wäre zugleich ein guter Weg für #GenderStudiesBuddies aus anderen Forschungsfeldern, darunter insbesondere den ebenfalls transdisziplinär arbeitenden Postcolonial Studies. An Letztere denke ich, weil wir uns durch Entwicklungen in Theorien und Methoden aufeinander zubewegt haben: Gender Studies arbeiten mit der Kategorie Ethnizität und race genauso selbstverständlich wie Postcolonial Studies mit der Kategorie gender, in beiden Feldern setzen sich intersektionale Ansätze durch, so dass man sich in Bezug auf konkrete Phänomene weder unbedingt nur einem der beiden Forschungsfelder zuordnen muss oder kann. Diese Entwicklungen haben einiges Potential zur Diskussion über den Zuschnitt von Disziplinen und Forschungsfeldern. Außerdem erlaubt das, über empfundene oder tatsächliche Leitdisziplinen zu sprechen, welche die öffentliche Wahrnehmung prägen: In den Gender Studies scheint das die Soziologie zu sein, in den Postcolonial Studies die Geschichtswissenschaft — und das, obwohl in beiden Feldern entscheidende Impulse für Neuorientierungen gerade auch aus den Kulturwissenschaften und Philologien kamen.

Es ist eine unserer Zukunftsaufgaben zu diskutieren, was dieses Aufeinanderzubewegen im Zeichen von Intersektionalität für das jeweilige Forschungsfeld zukünftig bedeutet. Diese Diskussion läuft institutionell auch bereits, wenn für Programme, Studiengänge oder Professuren nach passenden Dachbegriffen gesucht wird: Ist es z.B. Gender und Diversity? Oder nur Diversity, aber wie viel Gender ist dann darin ‚mitgedacht’? Im transdisziplinären Gespräch zwischen Sprach- und Literaturwissenschaften, Soziologie, Erziehungswissenschaften, Geschichte u.a.m. gelten nach meiner Beobachtung derzeit drei verschiedene Begriffe als attraktiv, die gar nicht so einfach miteinander ins Verhältnis zu setzen sind, und zwar Inklusion, Intersektionalität oder Diversität. Unter diesen drei Leitbegriffen, die mal Analyseperspektiven beschreiben, mal darüber hinaus auch Zielvorstellungen entwerfen, modellieren die Disziplinen ihre jeweiligen Perspektiven für die Beschreibungen von Gesellschaft, von Wissensordnungen, Subjektpositionen oder deren ästhetischen Repräsentationslogiken in Texten und Bildern. Und gleichzeitig sind das im öffentlichen Raum hoch umkämpfte Begriffe, die in unterschiedlicher Weise mit den Gender Studies assoziiert werden. Damit ist das auch unsere Arena.

Das sind ein paar Vorschläge, in welchen Feldern wir konsequenter interne und öffentliche Debatten aufeinander beziehen könnten. Die negative Aufmerksamkeit für die Gender Studies wird nicht plötzlich verschwinden. Dazu ist sie zu fest in der medialen Aufmerksamkeitslogik verankert. Aber es ist einen Versuch wert, die eigenen Ermüdungserscheinungen nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Es braucht den Willen zur Wissenschaftskommunikation von vielen mit ihren unterschiedlichen Fragestellungen und Ansätzen, wenn wir diese Konversation verändern wollen.

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Andrea Geier
Andrea Geier

Written by Andrea Geier

Komplexitätsdienstleisterin & Professorin an der Universität Trier. Literatur & Literaturwissenschaft zwischen Kritik & Revue, Gender & Postcolonial Studies.

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