Seyla Benhabib hat ein klares Statement gegen falsche, problematische Solidaritätsadressen geschrieben. Und falls sich jemand gerade fragt, welche Stimmen in der öffentlichen Debatte auch in Deutschland dringend gebraucht werden und welche Art offener Briefe, dann möchte ich empfehlen, sich daran zu orientieren.
Auch mich verwirren und enttäuschen Stellungnahmen Einzelner wie auch manche öffentlichen Appelle. Ich wünsche mir mehr Konkretheit und explizite Aussagen, die mir nicht abverlangen mitzudenken, was nicht dasteht oder nicht gesagt wird, weil ich angeblich darauf vertrauen sollte, dass das, was nicht dasteht, doch irgendwie vorausgesetzt und selbstverständlich wäre. Wir sehen in viel zu vielen Kontexten gerade, dass vieles nicht selbstverständlich ist. Also sprecht es aus. Und tut nicht so, als ob dieser Wunsch schon eine Vorverurteilung oder Missgunst wäre. Es ist notwendig. Und zwar für alle. Hier ein paar der drängendsten Probleme:
Wer nur “Frieden für Palästina” fordert, nicht Frieden für die Bevölkerungen in Israel und Palästina und nicht das Existenzrecht Israels eindeutig und uneingeschränkt bejaht, distanziert sich nicht von der Propaganda der Hamas.
Verzichtet auf Begriffe wie “Apartheid” und seid konkret. Niemandem ist geholfen, wenn wir uns in Begriffsdiskussionen verheddern statt über das Leid der Bevölkerungen in Israel und Palästina zu sprechen.
Das gilt genauso für die Rede von “genozidalen Handlungen”. Das Leid der Bevölkerung Gazas und eine, sofern es im Einzelnen der Fall ist, problematische Kriegsführung Israels kann man kritisieren, ohne sie “genozidal” zu nennen oder von “Kollektivbestrafung” zu sprechen. Dagegen ist glasklar: Der Terror der Hamas zielt auf die Vernichtung Israels und das Leben von Juden/Jüdinnen weltweit. Das ist eine genozidale Absicht.
Wenn wir darüber reden, mit wessen Leid wir mitfühlen und wessen Leben betrauerbar ist, dann sollte es selbstverständlich sein, dass es immer auch um die Geiseln der Hamas geht, dass die Bomben thematisiert werden, mit denen die Hamas weiterhin Israel beschießt, während weltweit laut “Frieden für Palästina” gefordert wird.
Wer ausschließlich Ansprüche an das Verhalten Israels stellt, als ob dies der einzige verantwortliche Akteur im Nahost-Konflikt wäre, distanziert sich nicht von der Propaganda der Hamas. Die Sorge um die Zivilbevölkerung in Gaza ist absolut berechtigt. Hier solidarisch zu sein, muss aber eben immer und unbedingt auch bedeuten, die Verantwortung der Hamas zu benennen.
Wer auf einer pro-palästinensischen Demo mitläuft, bei der man Angst haben muss, vom Existenzrecht Israels zu sprechen, Angst haben muss zu fordern, dass die Hamas alle Geiseln freilässt und Angst haben muss zu fordern, dass die Hamas die palästinensische Zivilbevölkerung nicht als Schutzschild missbraucht, läuft auf der falschen Demo mit.
Das waren einige Beispiele. Ich könnte mehr aufzählen, aber ich denke, mein Punkt ist klar. Lasst uns eindeutig solidarisch sein statt auf problematische Weise einseitig Partei ergreifen. Das bedeutet auch, dass wir nicht zulassen dürfen, dass die Debatte um Antisemitismus als Migrationsdebatte geführt wird. Jeder Antisemitismus muss bekämpft werden. Und das sage ich nicht nur als Bürgerin, sondern es gehört auch zu meiner Werteorientierung als Wissenschaftlerin mit Schwerpunkten in der Geschlechterforschung und in den postkolonialen Studien.
Nachtrag: Es gibt einen offenen Brief “Wissenschaft gegen Antisemitismus”, den ich unterschrieben habe. Wer auch möchte, hier entlang: https://www.athene-center.de/nie-wieder
Nachtrag 2, 12.2.2024: Dieses gute Statement der Lehrenden und Mitarbeitenden gegen Antisemitismus an der UdK Berlin enthält zum einen eine nachahmenswerte Selbstverpflichtung: “Sowohl in der Universität als auch gesamtgesellschaftlich ist es dabei wichtig, Erscheinungsformen des Antisemitismus erkennen und einordnen zu können und sich fortlaufend mit ihnen auseinanderzusetzen. Wir verpflichten uns, zu dieser Bildung beizutragen, indem wir eine gemeinsame Wissensgrundlage über die Geschichte des Antisemitismus in diesem Land, an unserer Universität und darüber hinaus schaffen.”
Zum anderen wird hier, und das ist mir als Wissenschaftlerin mit Schwerpunkt in den postkolonialen Studien besonders wichtig, klar von “Verkürzung postkolonialer Theoriebildung” im Kontext von antisemitischen und anti-israelischen Übergriffen und Angriffen gesprochen. Wer den Terror der Hamas als “Kampf gegen Apartheid” rechtfertigt, nimmt postkoloniale Theorie und ebenso postkoloniale Kämpfe um Anerkennung und Partizipation zu Unrecht für die eigene anti-israelische und antisemitische Propaganda in Anspruch.
Zur Wissenschaftsfreiheit gehört, dass in akademischen Veranstaltungen selbstverständlich z.B. das Konzept der Staatenbildung an sich diskutiert werden kann. Das gilt aber dann für alle Staaten und ist etwas völlig anderes, als auf einer Demonstration das Existenzrecht Israels zu bestreiten. Ebenso kann man diskutieren, welche Definitionen von “Apartheid” es gibt und aus welcher Perspektive es hier zu “Passungen” mit Israel kommen kann. Das ist jedoch etwas vollständig anderes, als im öffentlichen Raum oder im Rahmen einer universitätsöffentlichen Diskussion strategisch-diffamierend mit einem alltagsweltlichen Verständnis von “Apartheid” zu arbeiten, um den Staat Israel zu delegitimieren. Kritik an der israelischen Regierung muss sich auf das Regierungshandeln beziehen. Gleichzeitig dürfen wir es uns als Akademiker*innen nicht so einfach machen und immer nur sagen: Das ist eben Instrumentalisierung. Wir müssen schon auch in die Debatte gehen und sollten dabei auch selbstkritisch sein, wo es an klarer Abgrenzung gegen problematische ‘Anschlüsse’ fehlt.
Nachtrag: Unterschrieben habe ich auch das Statement gegen den Boykott israelischer Wissenschaftler*innen und Institutionen. Abgesehen davon, dass freie Wissenschaft nur mit Austausch funktionieren kann: Boykotte sind eklatante Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit.